Health Equity (auf Deutsch: Gesundheitliche Chancengleichheit) ist schon lange ein Thema. Die Covid-19 Pandemie hat die Problematik aber noch verschärft. Die Chancen auf Gesundheit sind auf globaler, aber auch auf nationaler Ebene, ungleich verteilt. Wo aber liegen die Ursachen von gesundheitlicher Ungleichheit? Und vor allem: Welche Rolle spielt Kommunikation dabei?
Gemeinsam mit Dr. Torsten Rothärmel von Weber Shandwick konnten wir einen Bereich diskutieren, der nicht nur eine Schnittstelle zwischen verschiedenen Kommunikations-Disziplinen, wie Healthcare Communications, Corporate Communications oder Public Affairs darstellt, sondern auch enormen gesellschaftlichen Impact hat: Health Equity.
Die Beseitigung von ungerechten und vermeidbaren Unterschieden im Gesundheitszustand von definierten Bevölkerungsgruppen ist das Ziel. Doch wo wird gesundheitliche Ungleichheit überhaupt deutlich? Gerade in Bezug auf die Corona-Pandemie zeigt sich: Mangelnder Zugang zu Informationen sowie die fehlende Kompetenz, Gesundheitsinformationen zu verstehen (z.B. auch durch Sprachbarrieren) und zu beurteilen, gefährden die Chancengleichheit. Aber z.B. auch unterschiedliche Lebensbedingungen in Städten oder auf dem Land können gesundheitliche Ungleichheit bedingen.
„Diese und weitere Determinanten der gesundheitlichen Chancenungleichheit können wir leider nicht direkt beeinflussen“, erklärt uns Torsten, „doch wir haben kommunikative Möglichkeiten, die Kluft etwas zu verringern.“ Als Kommunikationsberater können wir das Thema Health Equity mit auf die Agenda setzen. Wir können in unseren Kommunikationsstrategien auch gezielt an benachteiligte Gruppen denken und ihnen Aufmerksamkeit schenken. Von Gesundheitskommunikation bis hin zum Corporate Purpose.
Doch wie funktioniert das in der Praxis?
„Um unseren Beitrag zu leisten, inkludieren wir in jedem Schritt des Erarbeitungsprozesses der Kommunikationsstrategie für unsere Health-Kunden, Fragen, die uns aufzeigen, wo möglicherweise gesundheitliche Ungleichheit besteht oder entsteht und wie wir darauf reagieren können“, gibt uns Torsten einen Einblick in die Arbeitspraxis bei Weber Shandwick. Doch dabei muss man realistisch bleiben: „Wir können nicht immer das große Rad drehen, aber wenn wir in jedem Programm auch nur ein spezifisches Projekt umsetzen, haben wir einen weiteren Schritt getan.“
Der Fall: FMF, der Auftrag: Informieren
Anhand eines Fallbeispiels wurden wir selbst kreativ: Das familiäre Mittelmeerfieber (FMF) ist mehr als nur Fieber. Betroffene leiden unter Bauchschmerzen, Schmerzen in der Brust und Gelenken. Die Krankheit beginnt meist schon in der Kindheit und ist vererbbar. Häufig tritt sie bei Familien aus dem südöstlichen Mittelmeerraum auf.
Über FMF informieren, lautete unser Auftrag. Doch welche Faktoren sollten wir für unsere Gesundheitskommunikation bedenken? Welche Determinanten zur Chancenungleichheit betrachten? Schnell kamen wir zu dem Schluss, dass wir in unserer Kampagne mögliche Sprachbarrieren überwinden, kulturelle Hintergründe beachten und sensibel agieren müssen. Als unsere Hauptzielgruppe identifizierten wir Familien mit Bezug zum südöstlichen Mittelmeerraum, insbesondere Eltern. Um eine kreative, zielgruppengerechte Kampagne zu entwickeln, benötigt es Insights: Was bewegt unsere Zielgruppe? Was sind ihre kulturellen Hintergründe? Wie können wir sie am besten auf FMF aufmerksam machen? Welchen Besonderheiten der Zielgruppe müssen wir gerecht werden, damit ihre Chancen die Informationen zu verstehen und zu verarbeiten nicht beeinträchtigt werden?
„Das beste ist, immer direkt mit den Zielgruppen zu sprechen. Wichtig ist, Interests, Needs, and Values zu erkennen und zu bedenken. Die wichtigste Frage ist: Wie stellen wir die Relevanz für die Zielgruppe sicher und betten sie in die Lebensumstände ein? “, verrät uns Torsten.
Anschließend ging es an die Content-Entwicklung. Welche Formate eignen sich am besten, um die Zielgruppe über FMF aufzuklären? Wie ist ihre Mediennutzung? Wo sind die Touchpoints? Wie sprechen wir die Zielgruppe am besten an – in welcher Sprache und auf welchem Sprachniveau? Auch hier hat Torsten einen Tipp für uns: Beta-Testings an der Zielgruppe selbst helfen, zu prüfen, ob Content und Format zur Zielgruppe passen.
Nicht die Kontrolle verlieren
Last but not least gilt: Um die Kampagne auch in ihrem Verlauf steuern zu können, ist es wichtig, bereits während der Konzeption KPIs zu definieren. Geht unsere Strategie auf? Werden unsere Kernbotschaften rezipiert? Wurden sie verstanden? Und, besonders wichtig in der Gesundheitskommunikation: Hat unsere Kommunikation eine Veränderung oder Handlung ausgelöst?
… und in der Realität?
Zum Schluss waren wir natürlich neugierig: Wie hat Weber Shandwick den Auftrag umgesetzt?
Unter dem Motto „FMF – Mehr als nur Fieber“ hat Weber Shandwick eine Multichannel-Kampagne ins Leben gerufen. Bei der Content-Entwicklung lag der Fokus auf der Sensibilisierung für die Erkrankung. Mit Unterstützung von Patientenverbänden und türkischsprachigen Fachleuten aus dem Gesundheitswesen entstand eine integrierte Kampagne: Veranstaltungen, Kinospots und die Kommunikation über eine eigene Website sowie digitale Kanäle. Parallel dazu fand auch spezifische Fachkommunikation an Ärzte statt – und all das mit Erfolg: Die Kampagne wurde bereits von anderen Ländern adaptiert.
Gesundheitskommunikation ist also definitiv eine Disziplin mit gesellschaftlichem Impact. Wir bedanken uns bei Torsten von Weber Shandwick für den spannenden Einblick, die Diskussion und die vielen Tipps und Tricks aus der Praxis.